Fristenstillstand auch in gerichtlichen Angelegenheiten des SchKG?
Am 20. März 2020 hat der Bundesrat gestützt auf Art. 185 Abs. 3 BV eine Verordnung erlassen, welche den Stillstand für gesetzliche und von den Behörden oder Gerichten angeordnete Fristen verordnet. Voraussetzung, dass eine Frist vom Fristenstillstand erfasst wird, ist, dass nach dem anwendbaren Verfahrensrecht des Bundes oder des Kantons die Frist über die Ostertage auch ohne die Verordnung stillstehen würde. Offensichtlich ausgeschlossen sind demnach Schlichtungsverfahren und summarische Verfahren sowie Strafverfahren, weil in diesen Verfahren grundsätzlich keine Gerichtsferien vorgesehen sind.
Fraglich ist die Anwendbarkeit des verordneten Fristenstillstands in gerichtlichen Angelegenheiten des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts. Voraussetzung hierfür ist die Anwendbarkeit der ZPO.
Sofern es sich um keine gerichtliche Angelegenheit handelt, können die Bestimmungen der ZPO über die Berechnung, die Einhaltung und den Lauf der Fristen durch den Verweis in Art. 31 SchKG zur Anwendung gelangen. Dies jedoch nur, sofern das SchKG keine abweichende Regelung enthält. Im Bereich der Ferien und des Fristenstillstands sieht das SchKG abweichendes vor, weshalb die Bestimmungen der ZPO diesbezüglich nicht zur Anwendung gelangen. Zusätzlich enthält Art. 145 Abs. 4 ZPO einen expliziten Vorbehalt der Bestimmungen des SchKG über die Betreibungsferien und den Rechtsstillstand. In Angelegenheiten des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, welche nicht von Art. 1 lit c ZPO erfasst werden, gehen deshalb Art. 56 ff. SchKG als Spezialbestimmungen vor und die Gerichtsferien nach ZPO gelangen nicht zur Anwendung. Dies betrifft insbesondere die betreibungsrechtliche Beschwerde nach Art. 17 f. SchKG sowie Verfügungen der Vollstreckungsorgane.
Grundsätzlich gelangt die ZPO für gerichtliche Angelegenheiten des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts im Sinne von Art. 1 lit c ZPO zur Anwendung. Ob dies auch für die Bestimmungen über die Gerichtsferien gilt, oder ob der Vorbehalt in Art. 145 Abs. 4 ZPO umfassend zu verstehen ist, ist in der Lehre umstritten. Soweit ersichtlich, wurde diese Frage für gerichtliche Verfahren des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts vom Bundesgericht bisher nicht entschieden (Rechtsfrage ausdrücklich offengelassen in BGE 141 III 170 E. 3). Das Kantonsgericht Luzern hatte über diese Rechtsfrage zu entscheiden und gelangte zur Ansicht, dass der Vorbehalt in Art. 145 Abs. 4 ZPO nicht für alle gerichtlichen Angelegenheiten des SchKG gilt, sondern nur für betreibungsrechtliche Streitigkeiten (Fallnummer 1B 15 16).
Wir sind der Ansicht, dass die Gerichtsferien der ZPO insbesondere bei gerichtlichen Streitigkeiten zur Anwendung gelangen sollten, bei welchen die Betreibungsferien und der Rechtsstillstand nach SchKG ausgeschlossen sind, wie dies z.B. bei einer Kollisionsklage der Fall ist. Bei der Kollokationsklage (Art. 148 und Art. 250 SchKG) handelt es sich um eine sogenannte betreibungsrechtliche Streitigkeit mit Reflex auf das materielle Recht, weshalb diese – gestützt auf Art. 1 lit c ZPO – unter den Anwendungsbereich der ZPO fällt. In Bezug auf rein betreibungsrechtliche Streitigkeiten ist die Anwendbarkeit des Fristenstillstandes sehr ungewiss. Diese werden grundsätzlich vom Rechtsstillstand im Betreibungswesen erfasst (siehe auch vorgängiger Newsartikel).
Abschliessend kann festgehalten werden, dass der vom Bundesrat am 20. März 2020 verordnete Fristenstillstand unseres Erachtens bei gerichtlichen Streitigkeiten nach Art. 1 lit c ZPO (insbesondere bei solchen mit Ausschluss der Betreibungsferien und des Rechtsstilstandes) gilt. Praktiker sind aufgrund der herrschenden Rechtsunsicherheit dennoch gut beraten, die Anwendbarkeit der Verordnung über den Fristenstillstand im Zweifelsfalle auszuschliessen und die Frist ohne Berücksichtigung des Fristenstillstands einzuhalten.
Für alle Fragen rund um das Thema steht Ihnen Sebastian Wälti gerne als direkter Ansprechpartner zur Verfügung.