(Ab-)Wahl des Verwaltungsrats: Vermeidung durch Nichteinberufung der Generalversammlung?
Die Wahl des Verwaltungsrats gehört zu den unentziehbaren Kompetenzen der Generalversammlung einer Aktiengesellschaft. Die Amtsdauer des Verwaltungsrats richtet sich nach Art. 710 OR. Sie endet bei börsenkotierten Gesellschaften spätestens mit dem Abschluss der nächsten ordentlichen Generalversammlung und bei den übrigen Gesellschaften im Regelfall nach drei Jahren, vorbehalten statutarischer Änderungen, spätestens jedoch nach sechs Jahren. Eine Wiederwahl des Verwaltungsrats ist in allen Gesellschaften möglich.
Was geschieht, wenn der Verwaltungsrat keine Generalversammlung einberuft, oder aber die Wahl des Verwaltungsrats anlässlich einer solchen nicht stattfindet, weil sie beispielsweise vergessen wird?
Und wie lange darf ein Verwaltungsrat zuwarten mit der Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung, anlässlich welcher der Verwaltungsrat abberufen und neugewählt werden soll?
Das Bundesgericht sowie das Handelsgericht Zürich haben sich mit diesen Fragen in den Entscheiden BGE 148 III 69 und HE220074 befasst.
BGE 148 III 69
Vorgeschichte
Im konkreten Fall verlangte die Beschwerdegegnerin, eine Aktiengesellschaft und die Mehrheitsaktionärin der Beschwerdeführerin, vom Verwaltungsrat der letzteren die Einberufung einer ordentlichen Generalversammlung. Zu diesem Zeitpunkt lag die letzte ordentliche Generalversammlung bereits 2 Jahre zurück. Eine Einladung zu einer Generalversammlung blieb jedoch aus.
Die Statuten der Beschwerdeführerin sahen im konkreten Fall vor, dass die Amtsdauer der Verwaltungsräte ein Jahr beträgt und am Tag und mit dem Ende der nächsten ordentlichen Generalversammlung endet.
Die Beschwerdegegnerin gelangte an das Handelsgericht Zürich und verlangte im Wesentlichen die Einsetzung eines (befristeten) Sachwalters mit dem Zweck, eine ausserordentliche Generalversammlung durchzuführen. An dieser Generalversammlung sollten unter anderem ein Verwaltungsrat sowie eine Revisionsstelle ernannt und anschliessend im Handelsregister eingetragen werden.
Das Handelsgericht stellte mit Urteil vom 13. August 2021 (HE210084) fest, dass die Verwaltungsräte letztmals am 16. April 2019 für die statutarische Amtszeit bis am 31. Dezember 2019 bestätigt wurden. Das Verwaltungsratsmandat endete entsprechend unter Berücksichtigung von Art. 699 Abs. 2 OR (wonach die ordentliche Generalversammlung jährlich innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres stattfindet) bzw. der Statuten am 30. Juni 2020. Seither verfügte die Beschwerdeführerin über keinen ordnungsgemäss besetzten Verwaltungsrat mehr und litt an einem Organisationsmangel. Die Vorinstanz traf in der Folge gestützt auf Art. 731b Abs. 1 OR die erforderlichen Massnahmen, um dem Organisationsmangel abzuhelfen.
Konkret setzte das Handelsgericht für die Beschwerdeführerin einen Sachwalter ein und beauftragte ihn unter anderem damit, eine Generalversammlung ordnungsgemäss einzuberufen und insbesondere die Wahl des Verwaltungsrats sowie der Revisionsstelle zu traktandieren. Die Beschwerdeführerin erhob dagegen eine Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht und verlangte die Aufhebung des handelsgerichtlichen Urteils.
Argumentation
Wie bereits eingangs erläutert, wählt die Generalversammlung unter anderem den Verwaltungsrat (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 2 OR), wobei es sich um eine unübertragbare und unentziehbare Kompetenz handelt. Eine ordentliche Generalversammlung findet gemäss Art. 699 Abs. 2 OR alljährlich innerhalb von sechs Monaten nach Schluss des Geschäftsjahres statt, ausserordentliche Versammlungen werden je nach Bedürfnis einberufen.
Die Beschwerdeführerin stellte sich auf den Standpunkt, dass die Amtsdauer der Verwaltungsratsmitglieder sechs Monate nach Ablauf des Geschäftsjahres nicht automatisch geendet, sondern sich stillschweigend (d.h. ohne konkrete Vereinbarung) verlängert habe, womit kein Organisationsmangel vorliege. Damit folgte sie demjenigen Teil der schweizerischen Lehre, der eine solche stillschweigende Verlängerung annimmt (vgl. statt vieler: Müller / Lipp / Plüss, Der Verwaltungsrat, 5. Aufl. 2021, Rz. 1.233 ff., Tanner, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2018, N. 11 zu Art. 705 OR).
Ein anderer Teil der Lehre geht davon aus, dass mit dem Ablauf der sechsmonatigen Frist nach Art. 699 Abs. 2 OR das Verwaltungsratsmandat endet und eine stillschweigende Verlängerung ausgeschlossen ist. Nur eine aktive (Wieder-) Wahl bzw. eine positive Willensäusserung der Generalversammlung könne eine gültige Fortsetzung begründen (statt vieler: Bohrer / Kummer, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2018, N. 30 zu Art. 731b OR).
Rechtsprechung
Das Bundesgericht folgte der letzteren Lehrmeinung, die bei unterlassener Generalversammlung oder unterbliebener Wahl des Verwaltungsrates die Fortdauer bzw. eine stillschweigende Verlängerung des Verwaltungsratsmandats ausschliesst.
An den Grundsatz von BGE 140 III 349 anschliessend, in welchem entschieden wurde, dass das Verwaltungsratsmandat endet, wenn die Wiederwahl aufgrund einer Pattsituation nicht zustande kommt, entschied das Bundesgericht in BGE 148 III 69, dass eine explizite Willensäusserung der Generalversammlung hinsichtlich der Wahl des Verwaltungsrats notwendig ist.
Das Bundesgericht führte aus, dass die unentziehbare Kompetenz der Generalversammlung, den Verwaltungsrat bestimmen zu können, untergraben würde, wenn der Verwaltungsrat sein Mandat durch Nichteinberufung der Generalversammlung verlängern könnte. Anders als die Beschwerdeführerin war das Bundesgericht der Auffassung, der drohende Wegfall der Handlungsfähigkeit des Verwaltungsrats sei kein Argument für eine Verlängerung der Amtszeit, da der Verwaltungsrat selbst die Generalversammlung einberufen und somit Einfluss auf die Handlungsfähigkeit nehmen kann.
Den Schutz des guten Glaubens Dritter in den Handelsregistereintrag, erachtete das Bundesgericht dadurch ebenfalls nicht als gefährdet. Dritte dürfen grundsätzlich auf den Handelsregistereintrag vertrauen, soweit ihnen nicht positiv bekannt ist, dass die Amtszeit der eingetragenen Mitglieder geendet hat (Art. 936b Abs. 3 OR).
Zudem hielt das Bundesgericht fest, dass dadurch auch die Gesellschaft, Aktionäre und Gesellschaftsgläubiger geschützt bleiben, weil die Verantwortlichkeit nach Art. 754 OR auch für als faktische Organe (vgl. BGE 146 III 37 E. 6.1; BGE 128 III 29 E. 3a) handelnde Verwaltungsräte fortbesteht.
HE220074
Vorgeschichte
In diesem Fall verlangten die Gesuchsteller, Mehrheitsaktionäre der Gesuchsgegnerin, vom einzigen Verwaltungsrat der Gesuchsgegnerin die Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung mit der Traktandierung "Abberufung und Wahl Verwaltungsrat" innerhalb einer Frist von 23 Tagen.
Der Verwaltungsrat der Gesuchsgegnerin äusserte sich knapp einen Monat später, wie folgt: "Eine GV wird alsbald einberufen allerdings werde ich den Termin noch zum geeigneten Zeitpunkt bestimmen", woraufhin die Gesuchsteller das Handelsgericht um gerichtliche Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung ersuchten.
In seiner Stellungnahme begründete der Verwaltungsrat der Gesuchsgegnerin sein Vorgehen mit einer Ferienabwesenheit, welche er jedoch zu belegen verpasste. Weiter machte er geltend, an der ausserordentlichen Generalversammlung noch andere Traktanden behandeln zu wollen und entsprechend mehr Zeit zur Vorbereitung zu benötigen.
Argumentation
Auch während einer laufenden Amtszeit bzw. während eines laufenden Geschäftsjahrs hat die Generalversammlung die Möglichkeit, gewählte Verwaltungsratsmitglieder abzuberufen (Art. 705 OR). Dafür muss der Verwaltungsrat eine Generalversammlung einberufen und die Abberufung ausdrücklich als solche in der Einladung als Traktandum aufführen (Art. 700 Abs. 3 OR; der Hinweis "Wahlen" in der Einladung genügt entsprechend der herrschenden Praxis nicht).
Gemäss Art. 699 Abs. 4 OR hat das Gericht auf Antrag der Gesuchstellerin die Einberufung der Generalversammlung anzuordnen, wenn der Verwaltungsrat diesem Einberufungsbegehren nicht binnen angemessener Frist entspricht. Das Gericht unterzieht das Einberufungs- und Traktandierungsbegehren dabei keiner materiellen Prüfung, sondern prüft lediglich, ob die formellen Voraussetzungen von Art. 699 Abs. 4 OR erfüllt sind.
Vorliegend waren die formellen Voraussetzungen erfüllt und das Gericht verpflichtete die Gesuchsgegnerin innerhalb von 10 Tagen nach Rechtskraft des Urteils, eine ausserordentliche Generalversammlung einzuberufen.
In seiner Begründung hielt es fest, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen zur Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung, diese nicht verschleppt werden dürfe. Eine Frist zur Einberufung von 23 Tagen erachtete das Gericht als angemessen.
Fazit
Eine stillschweigende Verlängerung des Verwaltungsratsmandats ist ausgeschlossen. Die Amtszeit von Verwaltungsratsmitgliedern endet entsprechend der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wenn
die (gesetzliche / statutarische) Amtszeit abgelaufen ist und
innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres (gemäss Art. 699 Abs. 2 OR) keine ordentliche Generalversammlung einberufen wurde, in der über die Wieder- / Neuwahl hätte entschieden werden können.
Das Verwaltungsratsmandat kann zudem anlässlich einer ausserordentlichen Generalversammlung auch vorher beendet werden. Wird eine solche verlangt und liegen die Voraussetzungen dafür vor, so muss sie zügig einberufen werden, selbst wenn weitere Themen anstehen.
In der Praxis bedeutet dies, dass der Verwaltungsrat der Generalversammlung ein entsprechendes Gewicht zukommen lassen, diese mit der entsprechenden Priorität und Sorgfalt einberufen muss und auch eine (Ab-) Wahl des Verwaltungsrats nicht hinauszögern bzw. verhindern sollte.
Bei Fragen zur Mandatierung von Verwaltungsräten steht Ihnen Balthasar Wicki gerne zur Verfügung.